Ein Baby im Corona-Jahr
Ein Kind bekommen in Corona-Zeiten und das womöglich noch in einem Krankenhaus,
in dem nur Stockwerke entfernt Menschen mit einer noch nicht lange bekannten infektiösen Krankheit liegen – bei vielen werdenden Eltern hat das zunächst einmal ein mulmiges Gefühl hervorgerufen. Ein junges Elternpaar erzählt von der Geburt seiner Tochter im Klinikum.
Lea-Sophie ist 52 Zentimeter groß, als sie im Klinikum Ingolstadt geboren wird. Sie wiegt 3410 Gramm und ist der ganze Stolz ihrer Eltern Melanie und Tobias Bockhorni. Ihr Geburtstag ist der 14. April 2020 – jenes Datum, an dem das Klinikum 66 mit dem Coronavirus infizierte Patienten und damit so viele wie an kaum einem anderen Tag bei sich gezählt hat. Ein Kind bekommen in Corona-Zeiten und das womöglich noch in einem Krankenhaus, in dem nur Stockwerke entfernt Menschen mit einer vor Kurzem noch unbekannten, aber infektiösen Krankheit liegen – bei vielen werdende Eltern hat das zunächst einmal ein mulmiges Gefühl hervorgerufen.
„Am Anfang war schon sehr viel Unsicherheit mit im Spiel“, bestätigt Melanie Bockhorni. Als das Coronavirus Mitte März 2020 auch in Ingolstadt voll ankommt, ist sie bereits hochschwanger – ihr Entbindungstermin steht nur wenige Wochen später bevor. Doch in die Vorfreude der 26-jährigen Ingolstädterin mischen sich auch immer wieder Gefühle der Angst. Was, wenn ich mich jetzt mit dem Virus infiziere? Ist mein Baby gefährdet? Und wird mein Partner mich in den Kreißsaal begleiten können? „Da waren viele Fragen, die mir im Kopf rumgeisterten“, sagt die junge Mutter – und war damit ganz und gar nicht alleine.
„Die Verunsicherung der Schwangeren war deutlich spürbar“, weiß auch Susanne Scherübl-Gabler. Die Hebamme hat bereits unzählige Schwangere am Klinikum betreut, auch während der Pandemie. Sie versteht die Sorgen der Paare. „Eine Schwangerschaft ist immer etwas Aufregendes, vor allem, wenn es das erste Kind ist.“ Das Coronavirus und dessen rasante Ausbreitung habe die Nervosität vieler Schwangerer zusätzlich ansteigen lassen. Keine leichte Aufgabe für das rund 30-köpfige Hebammen-Team am Klinikum. „Zum Glück haben unsere Chefin Frau von Stengel-Lenz und unsere Oberärztin Frau Bozkaya schon sehr früh ein Konzept für die Frauenklinik ausgearbeitet. Als Corona dann so richtig hier ankam, waren wir vorbereitet“, erzählt die erfahrene Hebamme.
Zu den Vorbereitungen gehörte auch die Umstellung der Kommunikation mit den Frauen: „Wir haben versucht, so weiterzumachen wie zuvor. Wir wollten keine der Schwangeren alleine lassen.“ Da aber die Infoabende und die persönliche Beratung zur Geburt im Klinikum aus Sicherheitsgründen schon ab Mitte März nicht mehr möglich war, haben Scherübl-Gabler und ihre Kolleginnen kurzerhand umdisponiert: Statt des vor der Geburt üblichen persönlichen Gesprächs mit der Hebamme gibt es einen Telefontermin. In diesem Gespräch wird die Geburt durchgesprochen und es können noch einmal alle Fragen gestellt werden. Das Angebot kommt laut Scherübl-Gabler gut an und wird gerne genutzt, denn der monatliche Infoabend am Klinikum fehle vielen. Melanie Bockhorni hatte in dieser Hinsicht Glück. „Als das Coronavirus so richtig bei uns ankam, war ich bereits im letzten Drittel meiner Schwangerschaft und hatte meinen Vorbereitungskurs gerade abgeschlossen“, erzählt die 26-Jährige. „Ich hatte glücklicherweise nicht mehr so viele offene Fragen wie vielleicht manch andere junge Mama.“ Doch wohin mit der Angst, sich und womöglich auch das Kind mit dem Virus zu infizieren? „Man muss sich einfach gut informieren, und zwar an den richtigen Stellen. Man darf nicht alles glauben, was im Netz kursiert und sollte sich nur an echte Experten halten“, rät Bockhorni.
Experten wie etwa Prof. Dr. Babür Aydeniz, der Leiter der Frauenklinik im Klinikum: „Nach derzeitigem Wissenstand zählen Schwangere nicht zur Risikogruppe der Infizierten oder haben ein erhöhtes Risiko sich anzustecken“, so der Mediziner. Bislang seien überhaupt nur wenige Einzelfälle bekannt, in denen der SARS-CoV-2 bei Neugeborenen nachgewiesen wurde. „Auch, wenn die Mütter positiv auf Covid-19 getestet worden waren, waren die Kinder in den meisten Fällen nicht infiziert“, so Prof. Aydeniz. Ob die Infektion während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder nach der Geburt erfolgte, sei jedoch unklar. „Was ich sagen kann: Bei den bisherigen Untersuchungen wurde das Virus weder im Fruchtwasser, im Nabelschnurblut, der Muttermilch noch im Rachenabstrich des Neugeborenen der an Covid-19 erkrankten Mütter nachgewiesen.“ Für Melanie Bockhorni Grund genug, dem Entbindungstermin wieder mit mehr Freude als Angst entgegenzusehen und die letzten Wochen ihrer Schwangerschaft zu genießen. Einziger Wehrmutstropfen: Bei den letzten sechs Vorsorgeuntersuchungen darf ihr Mann Tobias nicht mehr mit zu den Untersuchungen. „Aber das war okay, die größte Entwicklung des Kindes passiert in den ersten Monaten“, sagt der 31-Jährige. Er verstehe, dass diese besondere Zeit auch besondere Vorsicht und Maßnahmen verlangt. Nur mit einer Einschränkung hätte er sich nicht anfreunden können: „Wenn ich bei der Geburt nicht mit ins Krankenhaus gedurft hätte.“
„Dass der Partner die Geburt verpasst, war eine der größten Ängste der Mütter“, weiß auch Susanne Scherübl-Gabler. „Aber diese Angst konnten wir den Müttern nehmen.“ Denn während zwar Besuche im Klinikum lange Zeit nicht erlaubt waren, bildeten Geburten stets eine Ausnahme. „Als wir das erfahren haben, ist uns schon ein großer Stein vom Herzen gefallen“, sagt Tobias Bockhorni. Angst, sich im Krankenhaus mit dem Coronavirus zu infizieren, hatten weder er noch seine Frau. Und auch Hebamme Susanne Scherübl-Gabler fürchte sich nicht vor einer Infektion − obwohl es auch im Klinikum schon Gebärende mit Covid-19 gegeben habe. „Natürlich ist diese Zeit mit dem Coronavirus auch für uns eine komplett neue Erfahrung“, sagt sie. Mit ansteckenden Krankheiten aber habe sie auch vorher bereits zu tun gehabt. „Das geht von Chlamydien bis HIV“, erzählt sie. Berührungsängste hat sie dennoch nicht, darf sie als Hebamme nicht haben. „Wir sind immer vorsichtig. Aber egal, welche Krankheit eine Frau auch hat, für uns Hebammen ist sie zunächst einmal eine Schwangere, keine Kranke. Und wir helfen ihr, ihr Baby auf die Welt zu bringen.“
Dass durch Corona die Geburtenzahl nach unten gegangen wäre, etwa, weil Schwangere verstärkt auf Hausgeburten setzten, habe man in der Frauenklinik des Klinikums übrigens nicht feststellen können, sagt Prof. Aydeniz. Das 1000. Baby ist mitten in der Corona-Krise im Klinikum geboren. Damit wurde 2020 die 1000er-Marke sogar noch etwas früher als im Vorjahr, wo Baby Nummer 1000 erst Ende Mai auf die Welt kam, geknackt. Dennoch: Kurz hatten auch die Bockhornis mit dem Gedanken einer Hausgeburt gespielt, diesen dann aber wieder verworfen. „Das war uns einfach zu unsicher ohne Arzt an unserer Seite. Bei Komplikationen wäre keine schnelle Hilfe zur Stelle gewesen“, sagt er. Dass das Paar mit seiner Entscheidung gegen eine Hausgeburt alles richtig gemacht hatte, ahnt es damals jedoch noch nicht.
Als bei Melanie Bockhorni die Wehen einsetzen, machen sich beide auf den Weg ins Klinikum. Doch die kleine Lea-Sophie denkt noch gar nicht daran, Mamas Bauch zu verlassen. Die Zeit vergeht – Stunde um Stunde schreitet voran, in denen Melanie Bockhorni im Kreißsaal liegt. Die Wehen werden immer stärker und so auch die Schmerzen, die die 26-Jährige hat. Als der Schmerz kaum mehr zu ertragen ist, willigt sie ein, sich eine Periduralanästhesie, kurz PDA, anlegen zu lassen. Dabei wird ein betäubendes Medikament in die Wirbelsäule gespritzt. Dieses verhindert kurzzeitig die Signalweiterleitung der Nerven – der Schmerz wird unterdrückt. Doch auch mit PDA rutscht das kleine Mädchen in Melanie Bockhornis Bauch nicht in den Geburtskanal. Tobias Bockhorni steht seiner Frau im Kreißsaal zur Seite, helfen kann aber auch er nicht. „Und dann hieß es plötzlich, dass die Sauerstoffversorgung des Babys im Bauch nicht mehr optimal ist“, erinnert er sich. Und egal wie sehr sich seine Frau anstrengt, es funktioniert nicht. Als sich die Werte des Babys weiter verschlechtern, bleibt keine Zeit, noch auf eine natürliche Geburt zu warten – es muss per Kaiserschnitt aus dem Bauch geholt werden.
Dazu muss Melanie Bockhorni vollnarkotisiert werden. „Es ging nicht anders, ich war schon im OP und habe trotz Lokalanästhesie noch alles im Bauch gespürt“, erinnert sie sich. Und die Zeit drängt. Kurz nachdem die Vollnarkose wirkt, beginnt auch schon die OP und die kleine Lea-Sophie erblickt endlich das Licht der Welt. „„Ein unvergessliches Erlebnis”, sagt Tobias Bockhorni. Während seine Frau noch Zeit braucht, aus der Narkose richtig aufzuwachen, begrüßt er seine putzmuntere und kerngesunde Tochter. „Die Betreuung war toll“, sagt Bockhorni. Die Bockhornis freuen sich darauf, Lea-Sophie später einmal die Geschichte ihrer Geburt zu erzählen – wegen des Geburtsmarathons ihrer Eltern, der kurzen Aufregung, dem Happy End und ja, auch ein bisschen wegen der besonderen Umstände unter denen sie geboren wurde − an jenem Tag, an dem besonders viele Patienten im Klinikum mit einem Virus, das die Welt auf den Kopf gestellt hat, gezählt wurden.