Wenn die Lunge Coaching benötigt
19. August 2022
Wenn die eigene Lunge versagt, bleibt für viele Patienten oftmals nur noch die maschinelle Beatmung als einzige Option. Diese Behandlungsmethode schont die Lunge und verschafft damit dem Körper Zeit, sich von einer Krankheit zu erholen. Vor diesem Hintergrund baut das Klinikum Ingolstadt ein interdisziplinäres Weaning-Zentrum auf, in dem Patienten mit einer maschinellen Beatmung von der Beatmung entwöhnt werden und das Atmen wieder selbstständig lernen sollen.
Das Klinikum Ingolstadt baut ein interdisziplinäres Weaning-Zentrum auf, in dem Patienten mit einer maschinellen Beatmung von der Beatmung entwöhnt werden und das Atmen wieder selbstständig lernen sollen.
Während der Corona-Pandemie ist sowohl die Beatmungsmedizin als auch die Entwöhnung von der Beatmung (das sog. „Weaning“) wieder stärker in den Fokus gerückt. Der Vorgang der Entwöhnung ist ein komplexer und aufwendiger Prozess, welcher das Ziel verfolgt, dass Patienten wieder ohne maschinelle Unterstützung atmen können. Patienten benötigten aus ganz unterschiedlichen Gründen künstliche Beatmung, erklärt PD Dr. Lars Henning Schmidt, Direktor der Klinik für Pneumologie, Beatmungsmedizin und Thorakale Onkologie: „Häufig sehen wir Patienten mit strukturellen Lungenerkrankungen, nach Schlaganfällen und anderen neurologischen Erkrankungen oder auch nach Unfällen.“
Vor diesem Hintergrund treibt die Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Palliativ- und Schmerzmedizin sowie die Klinik für Pneumologie, Beatmungsmedizin und Thorakale Onkologie gemeinsam den Aufbau einer eigenen Weaning-Einheit am Klinikum Ingolstadt voran. „Das Besondere an dieser Weaning-Einheit ist der enge Zusammenschluss von zwei hochspezialisierten Fachbereichen zu einem funktionellen Ganzen“, erläutert Dr. Andreas Tiete, Geschäftsführer Medizin und Pflege und Ärztlicher Direktor am Klinikum Ingolstadt, die Bedeutung dieses in der Region einzigartigen Projekts.
„Wenn Lungenfunktion und Gasaustausch wieder stimmen, können wir damit beginnen, den Patienten schrittweise von der Beatmungsmaschine zu entwöhnen“, erklärt Thomas Kemmetter, Atmungstherapeut und Intensivpfleger am Klinikum Ingolstadt. „Zunächst bekommt der Patient eine sogenannte druckunterstützte Beatmung. Dabei kontrolliert er selbst, inwieweit seine Atemzüge von der Maschine unterstützt werden – ähnlich wie bei einem E-Bike“, erklärt Kemmeter. Danach folgen spontane Atemversuche ohne maschinelle Unterstützung. Die Dauer dieser Atemversuche wird Schritt für Schritt – nach einem festgelegten Stufenplan – verlängert, bis der Patient über 24 Stunden oder länger selbstständig atmen kann. „Erst dann wird die Maschine entfernt“, betont er. In enger interprofessioneller Kooperation mit Ärzten, Pflegekräften, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Logopäden, aber auch dem Psychologischen Dienst koordinieren er und seine Kollegin Daniela Haase den Weaning-Prozess am Klinikum Ingolstadt.
Wie lange ein Weaning-Prozess dauert, sei von verschiedenen Faktoren abhängig, erklärt Prof. Martina Nowak-Machen, Direktorin der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Palliativ- und Schmerzmedizin. „Das kommt auf die Funktionsstörung der Atmungsorgane, das Alter der Patienten und die Begleiterkrankungen an.“ Grundsätzlich könne man sagen, dass das Weaning ungefähr so lange dauert, wie der Patient beatmet war. Eigentlich beginne das Weaning bereits schon mit der Intubation. Das heißt, schon während der akuten Beatmung sollte der Weaning-Prozess berücksichtigt und geplant werden.
Aktuell befinden sich im Klinikum Ingolstadt immer vier bis sechs Patient*innen gleichzeitig im Weaning-Prozess. „Für die Zukunft zeichnet sich ein steigender Bedarf für die Entwöhnung von der Beatmungsmaschine ab“, betont PD Dr. Lars Henning Schmidt, Direktor der Klinik für Pneumologie, Beatmungsmedizin und Thorakale Onkologie.
Vor allem in der seit zwei Jahren andauernden Corona-Pandemie hat das Weaning eine neue Bedeutung gewonnen. „Das Weaning von Covid-19-Patienten ist allerdings nicht vergleichbar mit dem Standard-Entwöhnungsprozess“, betont Tiete. „Die Lungen dieser Patienten sind teilweise schwer beschädigt, das Weaning ist zeit-und personalintensiver, aufwendiger und der Weg zur Genesung sehr viel länger als bei anderen Weaning-Patienten.“ Erst kürzlich ist im Klinikum Ingolstadt das Weaning bei einem 53-jährigen Covid-19-Patienten gelungen, der 60 Tage lang von der Lungenmaschine unterstützt werden musste und nur knapp dem Tod entronnen ist.
Wenn die eigene Lunge versagt, bleibt für viele Patienten oftmals nur noch die maschinelle Beatmung als einzige Option. Diese Behandlungsmethode schont die Lunge und verschafft damit dem Körper Zeit, sich von einer Krankheit zu erholen.