Behandlung des Hodenhochstands
Von Hodenhochstand (Maldescensus testis, Hodenektopie oder auch Kryptorchismus) spricht man, wenn ein oder beide Hoden nie oder die überwiegende Zeit nicht im Hodensack tastbar sind. Die Hoden liegen dann z. B. entweder im Leistenkanal (Leistenhoden), in der Bauchhöhle (Abdominalhoden oder Bauchhoden) oder im Eingangsbereich zum Hodensack. Varianten des Hodenhochstands sind der sogenannte Gleithoden, der zwar in den Hodensack verlagert werden kann, aber gleich wieder in die Leiste hochgleitet. Beim Gleithoden sind die Samenstranggefäße oder der Samenleiter zu kurz ausgebildet, eine Behandlung ist notwendig. Davon abgegrenzt wird der Pendelhoden, bei dem eine besonders ausgeprägte Samenstrangmuskulatur (M. cremaster) kurzzeitig den Hoden in die Leiste verlagern kann. Hier hilft ein sogenanntes Lageprotokoll bei dem die Lage des Hodens in einem Protokoll notiert wird. So ist beim Pendelhoden in Ruhe des Kindes (z.B. in der Badewanne, nach dem Zubettgehen) der Hoden regelrecht im Hodensack gelegen. Der Pendelhoden muss nicht behandelt werden.
Bei ca. 3 % der termingerecht geborenen Jungen findet sich ein einseitiger Hodenhochstand. In der Regel liegt der Hoden bereits am Ende des zweiten Schwangerschaftsdrittels im Hodensack. Bei Frühgeburten, Zwillingen und niedrigem Geburtsgewicht ist die Wahrscheinlichkeit für einen Hodenhochstand wesentlich höher. Die Wanderung des Hodens in den Hodensack geschieht jedoch auch noch im ersten Lebensjahr (als Entwicklungsverzögerung), so dass sich die Hoden bei 99 % aller Knaben am ersten Geburtstag korrekt im Hodensack befinden. Falls dies nicht der Fall ist, sollte unbedingt eine Therapie erfolgen, um schwerwiegende Spätfolgen wie Unfruchtbarkeit und (in seltenen Fällen) Hodenkrebs zu verhindern.
Die möglichen Ursachen des Hodenhochstands sind vielfältig und können oft nicht eindeutig geklärt werden. Es können anatomische Anomalien und auch hormonelle sowie genetische Störungen einen Hodenhochstand verursachen. Beispiele sind Störungen der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse, Störungen der Androgensynthese oder Androgenresistenz, Störung der testikulären Differenzierung, Umweltfaktoren, Syndrome (Prune-belly-Syndrom, Kallmann-Syndrom, Gastroschisis, Omphalozele), neurologische Ursachen, Diabetes der Mutter, Plazentainsuffizienz, Alkoholkonsum und Rauchen.
Durch eine Tastuntersuchung und eine Sonographie (Ultraschall) kann die Hodenlage in der Regel frühzeitig festgestellt werden. Bei beidseitig nicht tastbarem und sonographisch nicht erkennbarem Hoden muss eine weitergehende Diagnostik angeschlossen werden (hormoneller Stimulationstest). Die früher häufig vorgenommene Kernspintomographie zur Hodensuche hat sich nicht bewährt und erfordert häufig eigens eine Narkose für das Kind.
Die Behandlung des Hodenhochstandes sollte nach heutigen Erkenntnissen zum ersten Geburtstag abgeschlossen sein. Der Hoden ist aufgrund seiner abnormen Lage einer erhöhten Temperatur ausgesetzt, dies behindert eine normale Entwicklung des Hodens und führt zu einer Schädigung des Hodengewebes. Folgen sind später eine mangelhafte Spermienqualität sowie Spermienzahl und damit eine Unfruchtbarkeit (unerfüllter Kinderwunsch). Zudem ist das Risiko für eine Tumorerkrankung des Hodens (Hodenkrebs) erhöht. Deshalb ist es wichtig, den Hoden in den Hodensack zu verlagern, um ihn auch besser untersuchen zu können und später einen eventuell auftretenden Tumor frühzeitig durch eine (auch selbst durchgeführte) Tastuntersuchung erkennen zu können.
In den ersten 6 Lebensmonaten kann die Entwicklung abgewartet werden, da sich in diesem Zeitraum ein spontaner Deszensus zeigen kann.
Ab dem 6. Lebensmonat kann eine Hormontherapie vorgenommen werden. Die ärztlichen Empfehlungen für diese Hormontherapie (Leitlinie) werden aktuell überarbeitet. Die Hormontherapie kann von Ihrem Kinderarzt durchgeführt werden.
Die Behandlung bzw. die Operation sollte bis zum ersten Geburtstag abgeschlossen sein. Wir empfehlen daher die Kinder spätestens im Alter von 9-10 Monaten in unserer kinderurologischen Sprechstunde vorzustellen, damit rechtzeitig eine Diagnose gestellt bzw. bestätigt wird und die Operation geplant werden kann.
Besteht ein Hodenhochstand bis zum Ende des ersten Lebensjahres ist unbedingt eine Operation notwendig. Hierbei wird der Hoden aus seiner falschen Lage mobilisiert und in den Hodensack verlagert, wo er mittels Naht fixiert wird. Die Operation erfolgt von einem Leistenschnitt aus (sog. Funiculolyse/Orchidofunikulolyse/Orchidolyse und Orchidopexie). Dafür ist auch ein zusätzlicher Schnitt am Hodensack erforderlich (Operation nach Shoemaker). Bei der Operation von der Leiste aus können in jedem Fall auch weitere Fehlbildungen wie Leistenbruch (Leistenhernie oder der “offene Processus vaginalis testis”) mitbehandelt werden.
Kann der Hoden vor der Operation weder im Hodensack noch in der Leiste getastet oder im Ultraschall erkannt werden, ist eine Bauchspiegelung (laparoskopische Hodensuche) zur Hodensuche notwendig. Bei dieser Gelegenheit kann in gleicher Narkose der Hoden in den Hodensack verlagert werden oder, wenn kein ausreichendes Hodengewebe (vanishing testis) vorhanden ist, der Hoden auch entfernt werden. In einigen Fällen, wenn der Samenstrang zu kurz ist, kann auch eine zweizeitige Operation (z.B. Fowler Stephens Operation) zum Erhalt des Hodens notwendig sein.
Die erste Wundkontrolle eine Woche nach der Operation kann vom Kinderarzt oder Hausarzt durchgeführt werden.
Die Kontrolle in unserer kinderurologischen Sprechstunde erfolgt nach 3 Monaten und nach 6 Monaten. Dabei kann der Erfolg der Operation bewertet werden und die weitere Entwicklung des Hodens dokumentiert werden. Nur in seltenen Ausnahmefällen ist eine zweite Operation erforderlich, z.B. wenn der Hoden durch narbigen Zug nicht mehr im Hodensack liegt.