Systemische Therapie des Harnblasenkrebs
Bei fortgeschrittenen Tumoren der Harnblase mit Absiedlungen in Lymphknoten, Lunge, Leber oder Knochen kann eine systemische Therapie helfen, Komplikationen der Erkrankung zu vermeiden, Leben zu verlängern oder gelegentlich auch zu heilen. Diese Therapie kann in Form einer Chemotherapie, einer Immuntherapie oder auch eines Antikörper-Wirkstoff-Konjugates erfolgen. Die Wahl der Therapie erfolgt individuell nach Berücksichtigung mehrerer Kriterien. Hier spielen unter anderem durch den Pathologen untersuchte Gewebemerkmale des Tumors, der so genannte PDL-Rezeptorstatus, das Alter und der Allgemeinzustand sowie Leistungsfähigkeit des Patienten, die Nierenfiltrationsleistung und bestehende Nebenerkrankungen eine Rolle.
Diese Behandlung sollte nur durch Behandler mit entsprechender uro-onkologischer Erfahrung (wie z. B. in der Urologischen Klinik im Klinikum Ingolstadt) durchgeführt werden.
Im Falle eines Tumorbefalls der Lymphknoten oder für den Fall, dass der Tumor bereits über die Harnblasenwand hinausgewachsen ist, wird vor der Entfernung der Harnblase und in einigen Fällen auch nach der operativen Entfernung der Harnblase eine Systemische Therapie (Chemo – oder Immuntherapie) angeboten, um die Sicherheit zu erhöhen. Auch wenn der Tumor bereits bei Diagnosestellung zu weit fortgeschritten ist, als dass eine Harnblasenentfernung möglich wäre, ist eine systemische Therapie notwendig.
Hierbei werden spezielle Medikamente (Zytostatika), welche Tumorzellen abtöten in regelmäßigen Abständen nach einem vorher festgelegten Behandlungsplan über eine Vene verabreicht. Während früher das so genannte MVAC-Schema eingesetzt wurde, wird heute nahezu ausschließlich das GC-Schema (bestehend aus Gemcitabin und Cisplatin oder Carboplatin) wegen der geringeren Nebenwirkungen favorisiert. Für die Zweitlinien-Chemotherapie steht Vinflunin als weitere zugelassene Substanz zur Verfügung. Viele Patienten, die nicht vollständig auf die Chemotherapie ansprechen, erhalten mittlerweile im Anschluss an die Chemotherapie eine sogenannte Erhaltungstherapie mit einem Immuntherapeutikum (Avelumab). Die Erhaltungstherapie soll den Behandlungserfolg der Chemotherapie auf längere Sicht stabilisieren.
Die Dauer einer Chemotherapie beträgt je nach Ausgangssituation einige Monate, wobei davon nur wenige Tage im Krankenhaus verbracht werden müssen. Oftmals kann die Therapie teilwiese auch ambulant auf unserer Onkologischen Tagesstation erfolgen.
Die meisten Patienten kommen mit der Chemotherapie gut zurecht. Es können jedoch während der Behandlung belastende Nebenwirkungen, wie z. B. Fieber, Müdigkeit oder seelische Probleme auftreten. Diese lassen sich heute durch eine Vielzahl neuer Medikamente bereits vorbeugend gut beherrschen. Durch eine Chemotherapie treten in aller Regel Veränderungen des Blutbildes auf (Verminderung von roten und weißen Blutkörperchen und der Blutplättchen). Durch regelmäßige Kontrollen der Werte lassen sich Komplikationen, die durch die Veränderungen der Werte bedingt sind, verhindern. Beispiele für diese Komplikationen sind Infekte, Fieber und Blutvergiftung durch Abfall der weißen Blutkörperchen, Müdigkeit und Leistungsminderung bei Abfall der roten Blutkörperchen sowie Blutungen bei Abfall der Blutplättchen. All diese Komplikationen treten erst nach Abfall der Werte in ein bestimmtes Niveau auf. Durch engmaschige Kontrollen, können sie jedoch oft frühzeitig als Gefahr erkannt werden und damit auch vermieden werden.
Gerade wegen der Nebenwirkungen ist die enge Anbindung an die Klinik unerlässlich, da diese nicht nur rund um die Uhr besetzt ist und jederzeit sämtliche für die Beurteilung der aktuellen Situation notwendige Patientenunterlagen zur Verfügung stehen, sondern auch alle zur Behandlung von Komplikationen notwendigen Einrichtungen besitzt. Somit können jederzeit sich entwickelnde oder aufgetretene Komplikationen behandelt werden. Dies verbessert die Behandlungsergebnisse und der Aufenthalt in der Klinik verkürzt sich und wird auf das unbedingt Notwendige begrenzt.
Der Wirkmechanismus der Immuntherapie beruht darauf, dass das körpereigene Immunsystem aktiviert wird, die Tumorzellen als fremd zu erkennen und zu bekämpfen. Tumorzellen entwickeln im Lauf der Zeit mehrere Mechanismen, um den sogenannten Immun-Checkpoints zu entkommen. Durch die Immuntherapien (auch Checkpoint-Inhibitoren genannt) werden diese Mechanismen ausgeschaltet, es findet eine Checkpoint-Blockade statt und das körpereigene Immunsystem bekämpft die Tumorzellen. Die Checkpoint-Therapie kann solange gegeben werden, wie ein Nutzen für den Patienten besteht. D.h. die Therapie kann über Monate und auch Jahre gegeben werden.
Mit bildgebenden Verfahren wird kontrolliert, wie sich der Tumor und die Absiedelungen unter der Therapie verhält. Hierbei ist es für den Patienten wichtig zu wissen, dass durch die Anlagerung von Immunzellen an das Tumorgewebe in der ersten Bildgebung oftmals der Eindruck entsteht, der Tumor sei gewachsen, weil die Größe durch die angelagerten Zellen zunimmt. In der weiteren Kontrolle sind der Tumor und die Absiedelungen durch die wirksame Therapie dann oft deutlich kleiner. Dieses Phänomen nennt sich Pseudoprogress durch Immuntherapie, und sollte nicht zur Verunsicherung führen.
Die Nebenwirkungen der Immuntherapie erklären sich durch die Aktivierung des Immunsystems. Sie können noch bis zu sechs Monate nach der Gabe der Immuntherapie auftreten. Relativ häufige Nebenwirkungen sind Hautausschlag, Störungen der Schilddrüsenfunktion, autoimmune Entzündungen von Leber, Niere oder Darm sowie in seltenen Fällen der Hirn-Anhangsdrüse (Hypophyse). Diese Nebenwirkungen können durch ein Aussetzen der Therapie und durch die Gabe von Cortison meist gut behandelt werden. Bei Veränderung der Schilddrüsenfunktion können Medikamente für Über -und Unterfunktion der Schilddrüse gegeben werden.
Zur Behandlung des fortgeschrittenen oder metastasierten Harnblasenkrebs sind folgende Checkpointinhibitoren zugelassen: Pembrolizumab, Atezolizumab und Nivolumab.
In der Drittlinie steht mittlerweile in Deutschland für Patienten, die zuvor eine Chemotherapie mit Cisplatin oder Carboplatin sowie eine Checkpoint-Inhibitorentherapie erhalten haben, Enfortumab-Vedotin zur Verfügung. Enfortumab-Vedotin wird ebenfalls intravenös verabreicht und abhängig vom Körpergewicht dosiert.
Antikörper-Wirkstoff-Konjugate bestehen aus drei Bestandteilen:
- Dem Antikörper: Enfortumab ist ein Antikörper, der gegen Nectin-4 gerichtet ist. Nectin- 4 ist ein Protein, das auf der Oberfläche von Tumorzellen sitzt. Durch die Bindung des Antikörpers mit Nectin-4 kann das Wirkstoff-Konjugat in die Tumorzelle eindringen.
- In der Zelle kann Vedotin seine Wirkung entfalten. Vedotin ist eine Substanz, die die Vorgänge, die zur Vermehrung von Zellen führen, blockiert und damit zu einem Absterben der Tumorzelle führt, da sie sich nicht mehr teilen kann.
- Einem Linker, d.h. eine Substanz, die Enfortumab und Vedotin miteinander verbindet.
Die häufigsten Nebenwirkungen der Therapie mit Enfortumab-Vedotin sind Veränderungen des Blutbildes (vergleichbar mit denen der Chemotherapie, s.o.), Haarausfall, Übelkeit, Erbrechen Durchfall sowie Hautreaktionen, Veränderungen der Nervenenden an Händen und Füßen und damit einhergehende Sensibilitätsstörungen, Sehstörungen und Erhöhungen des Blutzuckerspiegels.
Wie bei jeder der hier beschriebenen Therapien sind daher regelmäßige Kontrollen der Blutwerte notwendig.
Eine spezifische Therapie hat immer auch Nebenwirkungen. Um ein optimales Therapieergebnis zu erzielen und die während der Therapie auftretenden Nebenwirkungen gering zu halten und gut zu versorgen, ist es oft auch notwendig, das Ärzte anderer Fachrichtungen aufgesucht werden.
Die enge Zusammenarbeit von Urologen, Hausärzten, Hautärzten und Endokrinologen sowie weiteren Spezialisten ist notwendig, damit die Versorgung bestmöglich ist. Die Behandlung einer Tumorerkrankung setzt daher ein interdisziplinäres Team voraus.