Mehr als nur Vergesslichkeit
21. September 2020
Welt-Alzheimer-Tag: Prof. Thomas Pollmächer über Diagnose, Verlauf und Behandlung der Gedächtnisstörung
Weltweit leiden rund 47 Millionen Menschen an Demenz, in Deutschland sind rund eine Million Menschen davon betroffen. Bei zirka zwei Drittel der Erkrankten handelt es sich um eine Alzheimer-Demenz. Im Interview zum Welt-Alzheimer-Tag am 21. September spricht Prof. Thomas Pollmächer, Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit im Klinikum Ingolstadt, über die Ursachen der Krankheit und erklärt, was für Betroffene wie Angehörige im Umgang mit dieser belastenden Diagnose wichtig ist.
Herr Prof. Pollmächer, die Begriffe Alzheimer und Demenz werden oft gleichbedeutend verwendet. Was ist der Unterschied?
Prof. Thomas Pollmächer: Die Alzheimer-Demenz ist die häufigste Demenzform. Allerdings gibt es eine Reihe von anderen demenziellen Erkrankungen, die eben auch andere Ursachen haben. Die wichtigste von diesen ist die sogenannte vaskuläre Demenz, die im Wesentlichen auf Durchblutungsstörungen des Gehirns beruht. Es gibt Mischformen zwischen Alzheimer-Demenz und vaskulärer Demenz und eine Reihe anderer, eher seltener Erkrankungen, so zum Beispiel eine so genannte frontotemporale Demenz.
Wodurch entsteht die Alzheimer-Demenz?
Prof. Pollmächer: Die Ursachen der Alzheimer-Demenz sind letztlich bis heute nicht bekannt. Allerdings weiß man bereits seit über 100 Jahren, dass schon lange vor dem geistigen Abbau Ablagerungen im Gehirn entstehen, die zumindest ursächlich beteiligt sind. Diese so genannten Plaques hat der Psychiater Alzheimer entdeckt und deshalb wurde nach ihm diese Erkrankung benannt.
Kann man denn selbst beeinflussen, ob man später an Alzheimer erkrankt oder nicht? Welche Risikofaktoren gibt es?
Prof. Pollmächer: Auch wenn die Ursache der Alzheimerschen Erkrankung nicht definitiv bekannt ist, gibt es erfreulicherweise eine Reihe von Risikofaktoren, die man selbst positiv beeinflussen kann, um die Wahrscheinlichkeit zu erkranken zu reduzieren.
Von welchen Faktoren sprechen wir hier?
Prof. Pollmächer: Hierzu gehören Übergewicht, Rauchen und Alkoholkonsum und recht gut behandelbare Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes. Auch ein Mangel an Bewegung und an sozialen Kontakten gehört dazu, sodass man allen älteren Menschen tatsächlich empfehlen kann, intensiv am sozialen Leben teilzunehmen und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten viel zu bewegen. Auch eine ausgewogene Ernährung hat günstige Effekte.
Alzheimer gilt als unheilbar. Aber gibt es Medikamente, die ein Fortschreiten der Krankheit verzögern?
Prof. Pollmächer: Bisher gibt es leider weder therapeutische Möglichkeiten den Ausbruch der Alzheimerschen Erkrankung zu verhindern noch den geistigen Verfall dauerhaft aufzuhalten. Einige wenige Medikamente können den Krankheitsverlauf zumindest ein wenig verzögern, sie werden in der Regel erst dann eingesetzt, wenn die Beschwerden sehr deutlich sind.
Kann man denn sagen, ab welchem Alter die Krankheit im Normalfall auftritt und warum fast ausschließlich alte Menschen davon betroffen sind?
Prof. Pollmächer: Die Wahrscheinlichkeit an der Alzheimerschen Erkrankung zu leiden, steigt jenseits des 70. Lebensjahres stark an, insbesondere Patienten mit einer starken erblichen Belastung erkranken häufig aber wesentlich früher. Ältere und alte Menschen sind vor allem deshalb betroffen, weil die Veränderungen im Gehirn sehr langsam voranschreiten und sich eben oft erst nach jahrzehntelanger Entwicklung klinisch bemerkbar machen.
Welche Verhaltensauffälligkeiten weisen Patienten mit Alzheimer auf?
Prof. Pollmächer: Am frühesten treten Störungen von Gedächtnis und räumlicher Orientierung auf, später lässt die Fähigkeit Sprache zu verstehen und selbst zu sprechen nach, das Schlaf-Wach-Verhalten kann schwer gestört sein und sowohl Teilnahmslosigkeit wie auch Rastlosigkeit kommen vor. Die Betroffenen können freundlich und sozial gut integrierbar bleiben, können aber auch zunehmend in Konflikt mit ihrer Umgebung geraten und aggressives Verhalten aufweisen.
Wie kann man als Angehöriger feststellen, ob die Eltern einfach nur etwas vergesslich sind oder ob es sich tatsächlich um die ersten Anzeichen der Alzheimer-Krankheit handelt?
Prof. Pollmächer: In der Tat ist es nicht ganz einfach, geringgradige Veränderungen von Gedächtnis und Aufmerksamkeit, wie sie im höheren Lebensalter normal sind, von einer beginnenden Demenz zu unterscheiden. Deshalb empfiehlt sich im Verdachtsfall zumindest eine Vorstellung beim Hausarzt, der vielleicht beruhigen kann, oder wenn sich deutlichere Verdachtshinweise zeigen, zum Facharzt überweist.
Wie prüfen Sie im Klinikum, ob eine Demenz vorliegt?
Prof. Pollmächer: Die Diagnose einer Demenz wird zunächst klinisch gestellt, indem die Hirnleistungen systematisch untersucht werden. Hierzu gibt es einfache, orientierende Tests, die nur 15-30 Minuten dauern, aber auch detaillierte differenzierte neuropsychologische Untersuchungsmöglichkeiten. Zur ursächlichen Einordnung einer Demenz sind weitere auch apparative Untersuchungen sinnvoll und notwendig, zu denen eine bildgebende Untersuchung des Gehirns gehören kann, zum Beispiel eine Kernspintomographie oder aber auch eine Untersuchung des Nervenwassers, indem sich zum Teil sehr spezifische Hinweise auf eine konkrete Diagnose finden.
Wie gehen Sie und Ihr Team mit Alzheimer-Patienten um?
Prof. Pollmächer: Der Umgang mit Menschen, die an einer Alzheimer-Erkrankung leiden, hängt natürlich ganz von ihrem Befinden und ihrem Zustand ab. Anfänglich bedarf es oft gar keiner besonderen Verhaltensregeln, vielleicht abgesehen davon, dass man auf die Gedächtnisprobleme des Patienten in gewisser Weise Rücksicht nimmt. Im zunehmenden Verlauf der Erkrankung benötigen die Patienten zunehmende Unterstützung. Diese kann mit fortschreitender Erkrankung sehr intensiv werden, bis hin zur vollständigen Pflegebedürftigkeit.
Haben Sie auch eine Empfehlung für Angehörige, wie sich diese verhalten sollen?
Prof. Pollmächer: Für Angehörige, die den Betroffenen pflegen oder betreuen wollen, ist es besonders wichtig darauf zu achten, dass sie ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht überschätzen. So schön es ist, wenn ein Partner oder wenn die Kinder einen dementen Patienten pflegen, so sehr muss auch darauf geachtet werden, dass deren eigene Leistungsfähigkeit und psychische Belastungsfähigkeit nicht überfordert wird. Es ist wichtig, sich Rat und Unterstützung zu holen, zum Beispiel bei der örtlichen Alzheimer-Gesellschaft, aber eben auch früh genug professionelle Unterstützung bei der Betreuung und Pflege.
Wie ist der aktuelle Stand der Forschung? Es wird ja bekanntermaßen seit Jahren an der Entwicklung eines Heilmittels gearbeitet.
Prof. Pollmächer: Die Forschung konzentriert sich aktuell auf zwei Bereiche: Zum einen auf die möglichst sichere frühzeitige Diagnose, hier werden in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Die Hoffnung ist, dass eine sehr frühzeitige Diagnose − vor Auftreten der ersten Symptome − möglicherweise eine Behandlung erlaubt, die ein Ausbrechen der Erkrankung verhindert. Allerdings stehen solche ursächlich wirkenden Behandlungsmethoden trotz intensiver Forschung der letzten 20 Jahre bisher nicht zur Verfügung. Und leider muss man auch sagen, dass sie in der nächsten Zeit noch nicht klinisch eingeführt werden können.