Ingolstadt, 01.04.2021. Nur sehr wenige plastische Chirurgen in Deutschland operieren regelmäßig Lähmungen des Gesichtsnervs. Mit Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Kehrer ist seit Kurzem ein plastischer Chirurg und erfahrener Spezialist auf diesem Gebiet ans Klinikum Ingolstadt gewechselt.

Auf einmal klappt nichts mehr: lachen, lächeln, blinzeln, die Nase rümpfen, die Stirn runzeln, die Lippen schließen. Wer von einer Gesichtslähmung betroffen ist, verliert einen Teil seiner Mimik und wichtige Fähigkeiten der zwischenmenschlichen Kommunikation. In Deutschland ereilt dieses Schicksal jedes Jahr zwischen 20.000 bis 30.000 Menschen. Meist handelt es sich um eine spontane, einseitige Lähmung. Die gute Nachricht ist, dass sich in der Mehrheit die Lähmung wieder von selbst oder durch den Einsatz von Medikamenten zurückbildet. In den übrigen Fällen bietet die Mikrochirurgie heutzutage sehr gute Möglichkeiten zur Verbesserung von Form und Funktion. Dies gilt auch für angeborene oder durch Unfälle oder Tumore verursachte Gesichtslähmungen.

 

Medizinisch lautet die Diagnose Fazialisparese, benannt nach dem siebten Hirnnerv oder Fazialisnerv. Über ihn laufen die Impulse aus dem Gehirn zu den Muskeln von Stirn, Augen, Wangen und Mund. Außerdem steuert dieser Nerv den Speichel- und Tränenfluss, die Drüsen der Nasenschleimhaut und den Geschmackssinn auf dem vorderen Teil der Zunge. Die Auswirkungen einer Lähmung sind deswegen für den Betroffenen oft weitreichend. Es droht weiter das Risiko von Sehschwäche bis Erblindung, weil sich durch den fehlenden Lidschluss Horn- und Bindehaut nachhaltig entzünden können.

Patienten leiden unter sozialer Stigmatisierung

Am stärksten leiden viele der Patienten unter der psycho-sozialen Stigmatisierung. „Für die Patienten ist es schlimm, dass ihr Gesicht selbst in Ruhe unsymmetrisch ist und sich ihre Züge beim Lächeln völlig verzerren“, sagt Kehrer von der Sektion Hand- und Plastische Chirurgie (Leitung Dr. Jan Eric Zinndorf) im Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie.

Kehrer ist seit Februar vom Universitätsklinikum Regensburg nach Ingolstadt gewechselt. Der Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie hat sich in seinen Forschungsarbeiten dem Fazialisnerv und seiner mikrochirurgischen Rekonstrukution verschrieben und sich dafür in den vergangenen Jahren auch im Ausland (Großbritannien, Niederlande, Südkorea, Taiwan) fortgebildet.

Zeitfenster von sechs bis 15 Monaten nach der Lähmung für Operationen optimal

Heilt der Nerv nicht selbstständig, ist es wichtig das Zeitfenster von sechs bis 15 Monaten für eine Behandlung zu nutzen. „Nach 18 Monaten können sich ansonsten die 21 Muskeln einer Gesichtshälfte wegen des fehlenden Nervenreizes in Fettgewebe umwandeln und funktionslos werden“, warnt Kehrer. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Patient mit den Verfahren der Mikrochirurgie wieder Lebensqualität und Normalität zurückgewinnen.

„Um für die gelähmte Gesichtshälfte wieder Muskelspannung und -beweglichkeit wieder zurückzugewinnen, setzen wir auf die Umlagerung und Transplantation von Nerven. Wir verwenden zum Beispiel einen Ast des Kaumuskelnervens als Spendernerv, ohne dass der Kauprozess beeinträchtigt wird. Und wir verlängern den Fazialisnerv der gesunden Gesichtshälfte in die gelähmte. Dafür transplantieren wir einen weniger wichtigen Hautnerv vom Unterschenkel ins Gesicht und verbinden ihn mit den Muskeln der gelähmten Seite“, beschreibt Kehrer das Verfahren für Lähmungen im frühen Stadium.

Sollte die Lähmung schon länger zurückliegen, können Muskeln aus dem Oberschenkel ins Gesicht transplantiert und auch damit gute Ergebnisse erzielt werden. „Die Narben im Gesicht verheilen unauffällig, ähnlich wie bei einem Facelift“, erklärt Kehrer. Auch bei einer schon seit 25 Jahren bestehenden Gesichtslähmung seien so noch bedeutende Verbesserungen möglich.

Bei Gesichtslähmungen im Kindesalter empfiehlt Kehrer einen Eingriff im Alter von fünf bis sechs Jahren. Dann sind die Nerven und Muskeln groß genug, und dem Kind bleiben Hänseleien in der Schule erspart.

Das Klinikum Ingolstadt bietet als eines der größten kommunalen Krankenhäuser in Bayern die Behandlung komplexer Krankheitsbilder in Wohnortnähe. Es gehört zu den Vorreitern der Digitalisierung im Krankenhausbereich und fördert z.B. anwendungsbezogene Forschung in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen. 3.700 Mitarbeiter versorgen jährlich rund 100.000 Patienten in 21 Kliniken und Instituten. Zum Klinikum Ingolstadt gehört eines der größten deutschen Zentren für psychische Gesundheit in einem Allgemeinkrankenhaus.

Veröffentlicht: 1. April 2021 | Aktualisiert: 11. November 2024 | Kategorien: Pressemitteilungen |
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