Im Klinikum Ingolstadt ist man überzeugt: Zu einer schnellen Genesung trägt auch gutes Essen seinen Teil bei. Das Küchenteam von Walter Zieglmeier versorgt die über 1.000 Patienten des Krankenhauses Tag für Tag mit einer breiten Auswahl an Gerichten. Ein Einblick in eine Küche, wo Kochen für Massen auf Selbstgemachtes trifft, und wo für ein Hirschragout mal eben 85 Kilogramm Fleisch benötigt werden.
Von Jakob Schätzle
Kurz vor 6.30 Uhr, Mittwochmorgen. Obwohl: von Morgen ist noch keine Spur. Die Nacht hat Ingolstadt noch fest im Griff und nur wenige Menschen geistern durch das Foyer des hiesigen Klinikums.
Eine Station mit dem Aufzug nach unten und ein paar menschenleere Gänge weiter wird jedoch in wenigen Minuten die Arbeit beginnen. Sämtliche Beschäftigte sind hier weiß gekleidet. Es klappert und klirrt fortwährend in dem Saal, der die Größe einer Lagerhalle erreicht. Tatsächlich wird in einigen Seitenräumen auch wirklich etwas gelagert: Fleisch, Wurst oder beispielsweise Gemüse. Vor allem aber sind die Mitarbeiter hier ab 6.30 Uhr mit Kochen beschäftigt – hier, in der Küche des Ingolstädter Klinikums.
74 Köche, Küchenhilfen und Beiköche sorgen dafür, dass etwa 1.100 Patienten täglich etwas zu essen bekommen. Auch für die über 800 Mitarbeiter des Krankenhauses sowie mehrere Kindergärten und eine Seniorenanlage bereitet das Küchenteam Mahlzeiten zu. In voller Ausstattung, von der Kochmütze bis zur Schürze, bin ich heute in der Küche des Klinikums zu Besuch, darf einigen Mitarbeitern über die Schulter blicken und ihnen bei ihrer Arbeit helfen.
An meiner heutigen ersten Station stehe ich zwei Wannen gegenüber, in beiden sehe ich den gleichen Inhalt: kleingehackte Zwiebeln und Hirschfleisch. 85 Kilogramm. Neben mir steht Hans. Der Koch bereitet heute „Menü 1“ des Speiseplans zu: Hirschragout. Ich helfe ihm beim Umrühren, er in der linken Wanne, ich in der daneben. Das Gerät hierfür: ein Küchenschaber, dessen Fläche etwa die Größe eines Taschenbuches erreicht. Hans erklärt mir, was ich zu tun habe: „Gleichmäßig umrühren, damit die Zwiebeln verteilt werden.“ Ich gebe mein Bestes, aber es ist etwas gewöhnungs-bedürftig, mit solchen Massen an Fleisch zu arbeiten. „Dreh den Schaber um, dann geht’s besser.“
Die überdimensionalen „Töpfe“ in der Küche am Klinikum Ingolstadt
So ist es. Der markante Geruch des Hirschfleisches steigt mir in die Nase und die schon etwas dampfenden Zwiebeln sorgen für feuchte Augen. Ein paar Minuten und ein paar Tränen später sind die Zwiebelstückchen gut verteilt und ich lege den Schaber an den Rand der Wanne. „Bei mir ist es jetzt erst mal langweilig“, meint Hans. Also geht es für mich zur nächsten Aufgabe.
Ich bin bei Feride. Das Haarnetz auf dem Kopf und ganz in weiß wie alle anderen, hält sie in ihrer Hand einen Messbecher. Drei Liter Schokoladenpudding füllen ihn aus. Zwischen weißer Kleidung und weißem Geschirr sticht die braune dickflüssige Leckerei heraus. Gemeinsam füllen wir den duftenden Pudding in Schälchen. Über 400 Patienten haben ihn für heute zum Dessert bestellt. „Siehst du den Strich auf der Innenseite der Schälchen?“, fragt mich Feride. „Ein bisschen darunter sollte die Grenze sein.“ In jedes Schälchen die gleiche Menge – gar nicht so einfach. Ist mein Messbecher leer, so kann ich den Pudding aus einem Kessel „abzapfen“, als würde es sich um Bier handeln. Ein Prosit auf die nächsten drei Maß Pudding!
Unsere wabbelige Süßspeise ist eines von vier Desserts, die heute Mittag angeboten werden. Neben einer täglich wechselnden Suppe kann jeder Patient seine Hauptspeise aus fünf verschiedenen Menüs wählen. Es gibt zwei Vollkost-Gerichte, eine vegetarische Mahlzeit sowie zwei für Diabetiker geeignete. Für Frühstück und Abendessen gibt es separate Angebote.
In den Wannen brutzelt das Hirschfleisch und neben Hans stehen mehrere Flaschen Rotwein. Alkohol am Arbeitsplatz? Und dann auch noch so früh am Morgen? Natürlich nicht. „Den Wein verwenden wir zum Ablöschen, damit nichts am Wannenboden anbrennt“, erklärt Hans. Auch verleihe der Wein dem künftigen Ragout einen besonderen Geschmack. Nachdem sämtliche Flaschen leer sind, ist erst einmal wieder alle Arbeit am Hirschen getan. Mindestens 90 Minuten schmoren lassen, anschließend kommen Sahne und Champignons hinzu. „Dann sollte es schmecken!“, prognostiziert Hans.
Damit hat es der Koch auf den Punkt gebracht. Darum geht es: zufriedene Patienten, denen das Essen schmeckt. Die Umfragewerte stimmen Küchenchef Walter Zieglmeier glücklich. Das Feedback der Patienten zum Essen im Klinikum ist positiv. Der 52-Jährige hat dafür eine Erklärung parat:
Walter Zieglmeier, Küchenchef am Klinikum Ingolstadt
„Wir kochen ein bisschen wie zu Hause.“ Viel Selbstgemachtes und ein regionaler Bezug der verarbeiteten Lebensmittel sind zentrale Merkmale der Klinikumsküche. „Unsere Suppen und Soßen machen wir selbst“, erzählt Zieglmeier stolz und bringt es wenig später auf den Punkt.
Er zeigt mir einen Kübel mit „Holländischer Soße“, kann mir jede einzelne Zutat aufzählen und zieht abschließend das Fazit: „Und dann hab‘ ich ’ne geile Soße ohne Packerlzeugs.“ Keine Fertigsoßen. Die Köche wissen ganz genau, aus welchen Bestandteilen ihre Soßen bestehen.
Auf zur nächsten Mahlzeit! Wer heute das „Menü 4“ (leichte Vollkost Diabetes) wählt, bekommt Fleischpflanzerl mit einer leichten Rahmsoße, Kartoffelpüree und Karottengemüse aufgetischt. Erneut darf ich Feride helfen, diesmal beim Püree. Wir stehen (wieder einmal) vor einer Wanne. Sie ist etwa zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Auf der Ablage hinter mir liegen vier Tüten Kartoffelpüreepulver. 600 Portionen sollen das einmal werden, Feride hat die Wassermenge abgemessen. Nun ist es üblich, dass ein solches Pulver in Wasser eingerührt wird. Dazu eignet sich ein Schneebesen vortrefflich. Auch Feride hat ein Exemplar bei der Hand, allerdings eines mit Stromanschluss und der Größe eines Gewehrs. Ich muss schmunzeln, denn der Hang zum Gigantischen in dieser Küche überrascht mich immer wieder. „Hier ist alles überdimensional“, stellt Feride ernüchternd fest.
Aus Wasser und Pulver ist Püree geworden, das Schneebesengewehr hat ganze Arbeit geleistet. Jetzt fehlt nur noch die Portionierung in Wärmebehälter. Das wird meine Aufgabe sein. Ich bekomme einen Schöpflöffel – der Begriff „Schaufel“ ist treffender – und gebe Kelle für Kelle das Püree in die Behälter. Mit der Zeit ist das recht anstrengend, Küchenchef Zieglmeier erklärt die Arbeit in seiner Küche gar zum alternativen Fitnessstudio.
Tatsächlich: Das Hirschragout ist fertig! Das Fleisch schwimmt bereits in Champignonsoße. Hans und ich probieren. Das Fleisch ist schön zart, die Soße nicht zu scharf, für eher mild gehaltene Krankenhauskost genau richtig. Wir sind zufrieden.
Nachdem nun alle Menübestandteile für heute Mittag gekocht worden sind, geht es dem Endspurt in der Küche entgegen. Die Mitarbeiter positionieren sich links und rechts von einem Fließband. „Einschalten“, ruft die Vorderste in der Reihe und das Band setzt sich in Bewegung. Auf jedes Tablett wird ein Zettel gelegt. Dort steht genau, welches Menü der jeweilige Patient will. Nach etwa 15 Metern und etlichen Mitarbeitern, die jede gewünschte Mahlzeit auf das davonrollende Tablett legen, kommt das fertige Menü am Ende des Bandes an. Kurz danach erhält jeder Patient sein ganz persönliches Tablett. Knapp sechs Stunden sind dann vergangen, seit Hans, Feride und ihre Kollegen hier ihre Arbeit aufgenommen haben. Hier, in der Küche des Ingolstädter Klinikums.