Ingolstadt − Fast jeder kennt sie und könnte gut und gerne darauf verzichten – Kopfschmerzen. Treten sie regelmäßig und über einen längeren Zeitraum auf, können sie schnell zur Belastung werden. Zu den häufigsten Formen des Kopfschmerzes gehören Spannungskopfschmerzen und Migräne. Wann Kopfschmerzen gefährlich sind, welche Kopfschmerzpatienten sich im Klinikum behandeln lassen sollten und welche Therapiemöglichkeiten es gibt, erklärt Prof. Dr. med. Thomas Pfefferkorn, Direktor der Klinik für Neurologie im Klinikum Ingolstadt, zum Kopfschmerz-und Migränetag am 12. September im Interview.

Mit welcher Art von Kopfschmerz kommen Patienten zu Ihnen? Was sind häufige Ursachen?

Prof. Pfefferkorn: Über unsere Notfallklinik kommen vor allem Patienten, bei denen der Verdacht auf sogenannte sekundäre Kopfschmerzen besteht. Hier sind die Kopfschmerzen Symptom einer Erkrankung wie z. B. einer Blutung im Schädelinneren, einer Entzündung der Hirnhäute oder der Blutgefäße. Einige dieser Erkrankungen sind sehr gefährlich und bedürfen einer notfälligen Abklärung und Therapie. Wesentlich häufiger sind sogenannte primäre Kopfschmerzen, bei denen die Kopfschmerzen selber die Erkrankung darstellen. Diese treten in der Regel immer wieder auf, klassische Vertreter sind Migräne und Spannungskopfschmerzen. Betroffene Patienten werden vorwiegend im niedergelassenen Bereich behandelt.

 

Wie wird der Schmerz im Kopf ausgelöst?

Prof. Pfefferkorn: Das Gehirn selber kann keine Schmerzen empfinden. So werden Hirnoperationen teilweise bei wachen Patienten durchgeführt, um während der OP die Gehirnfunktionen testen zu können. Das Gehirn verarbeitet Schmerzreize, die auf andere Strukturen einwirken. Im Bereich des Kopfes sind das z. B. die Hirnhäute, die Blutgefäße oder die Nasennebenhöhlen.

 

Jeder hat mal Kopfschmerzen. Ab wann sollte man diese ernst nehmen und einen Arzt aufsuchen?

Prof. Pfefferkorn: Tatsächlich gibt es nur sehr wenige Menschen, die niemals Kopfschmerzen haben. In den meisten Fällen sind Kopfschmerzen harmlos. Wie allgemein bekannt und von den meisten Menschen am eigenen Leib erfahren, treten Kopfschmerzen z. B. im Rahmen eines grippalen Infekts oder nach übermäßigem Alkoholgenuss auf. Hier ist keine weitere Abklärung notwendig, die Kopfschmerzen werden von selbst abklingen. Auch bei den oben genannten primären Kopfschmerzen, also Migräne, Spannungskopfschmerzen oder auch selteneren Formen wie dem Cluster-Kopfschmerz besteht in der Regel keine Gefahr für eine anhaltende Schädigung. Dennoch können diese Kopfschmerzen für die Betroffenen sehr quälend sein, v. a. bei häufigem Auftreten und hoher Intensität. Dann ist eine ambulante ärztliche Anbindung beim niedergelassenen Neurologen sinnvoll.

 

Wann muss auf jeden Fall ein Arzt hinzu gezogen werden?

Prof. Pfefferkorn: Warnzeichen oder sogenannte „red flags“ sind in ihrer Intensität bisher nicht bekannte Kopfschmerzen, ein plötzlicher Beginn, begleitende neurologische Ausfälle, hohes Fieber und Nackensteife. In diesen Fällen sollte eine sofortige ärztliche Vorstellung, gegebenenfalls auch in einer Klinik-Notaufnahme, erfolgen.

 

Wie unterscheiden sich Migräne und Spannungskopfschmerzen?

Prof. Pfefferkorn: Typisch für die Migräne sind wiederkehrende Attacken von Stunden bis hin zu wenigen Tagen. Die Kopfschmerzintensität ist mäßig bis stark, die Lokalisation häufig halbseitig, der Kopfschmerzcharakter pulsierend. Die Patienten wollen sich zurückziehen, scheuen Licht und Lärm. Begleitend besteht häufig Übelkeit. Spannungskopfschmerzen haben eine geringere Intensität und sind nicht auf eine Gehirnhälfte begrenzt. Der pulsierende Charakter fehlt, mäßige körperliche Aktivität führt zu keiner Zunahme der Beschwerden.

 

Wie viele Menschen mit Kopfschmerzen behandeln Sie jährlich?

Prof. Pfefferkorn: Wie überall sind auch in unserer Notfallklinik Kopfschmerzen das häufigste neurologische Leitsymptom. Da kommen etwa 1000 Patienten pro Jahr zusammen.

 

Wie sieht die Diagnostik aus?

Prof. Pfefferkorn: Alleine die Vorstellung des Patienten in unserer Notfallklinik stellt eine „red flag“ dar. Da in der Regel der Verdacht auf einen sekundären Kopfschmerz besteht, ist die wichtigste Aufgabe der Nachweis oder Ausschluss einer zugrunde liegenden ernsthaften Erkrankung. Neben Anamnese und klinisch-neurologischer Untersuchung einschließlich Temperaturmessung erfolgen je nach neurologischer Einschätzung  apparative Zusatzuntersuchungen. Diese umfassen eine Blutentnahme (Entzündungszeichen?), ggf. eine Bildgebung des Kopfes, meist eine Computertomographie (Hirnblutung? Raumforderung?) und unter Umständen auch eine Nervenwasseruntersuchung, eine sogenannte Liquorpunktion (Hirnhautentzündung?).

 

Wie sieht die Zusammenarbeit mit anderen Fachgebieten aus?

Prof. Pfefferkorn: Je nach Ergebnis der Diagnostik ziehen wir andere Disziplinen hinzu. Bei dem besonders dramatischem Blid der aneurysmatischen Subarachnoidalblutung (hier kommt es bei Ruptur einer Gefäßaussackung im Gehirn zu einer häufig lebensbedrohlichen Blutung unter die Hirnhäute) werden sofort unsere Neurochirurgen und Neuoradiologen involviert. Durch diese Kollegen erfolgt die Abdichtung des rupturierten Aneurysmas per offener Operation (Clipping) oder per Einbringung von Platinspiralen mittels Kathetertechnik (Coiling). Da es bei diesem Krankheitsbild im weiteren Verlauf sehr häufig zu Komplikationen kommt, erfolgt die anschließende Behandlung unter neurochirurgischer Federführung auf unserer interdisziplinären Neuro-Intensiv-Einheit, die organisatorisch unter anästhesiologischer Leitung steht.

 

Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit von der Arbeit niedergelassener Neurologen?

Prof. Pfefferkorn: Das Klinikum ist in der Notfallsituation gefragt, also immer dann, wenn der Verdacht auf einen akuten sekundären Kopfschmerz mit ernsthafter zugrunde liegender Erkrankung besteht. Patienten mit primären Kopschmerzen, die in der Regel rezidivierend oder chronisch verlaufen, werden von niedergelassenen Neurologen betreut.

 

Wie können Sie Menschen mit Kopfschmerzen helfen?

Prof. Pfefferkorn: Das Vorgehen in unserer Klinik habe ich ja bereits ausführlich erörtert. Lassen Sie mich aber kurz auf die therapeutischen Möglichkeiten bei primären Kopfschmerzen eingehen, auch wenn wir betroffene Patienten im Klinikum nicht kontinuierlich betreuen, da dies unsere niedergelassenen Kollegen übernehmen.

Nehmen wir die Migräne, der aufgrund ihrer Häufigkeit, Intensität und Einfluss auf die Lebensqualität besondere Bedeutung zukommt. Hier wird zwischen Akuttherapie und Prophylaxe unterschieden. Bei der akuten Migräneattacke sind frühzeitig eingenommene konventionelle Analgetika und sogenannte Triptane bei den meisten Patienten wirksam. Allerdings besteht bei regelhafter Einnahme (> 10-15 Tage pro Monat) die Gefahr eines sogenannten Medikamenten-Übergebrauch-Kopschmerz.

 

Was kann man tun, um Letzteres zu verhindern?

Prof. Pfefferkorn: Bei schwer betroffenen Patienten kommt der Prophylaxe eine große Bedeutung zu. Auf jeden Fall sollten regelmäßige nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Ausdauersport und Entspannungsübungen ergriffen werden. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Medikamenten, die die Häufigkeit und Intensität der Migräneattacken reduzieren können. In der Patienten-Kommunikation ist es allerdings wichtig klarzustellen, dass die Migräne nicht vollständig geheilt werden kann. Es geht vielmehr um Linderung mit realistischer Zielsetzung.

 

Was aber, wenn die Prophylaktika nicht wirken?

Prof. Pfefferkorn: Einen neuen spezifischen medikamentösen Ansatz für Patienten, bei denen die etablierten Prophylaktika keinen Effekt zeigen bzw. nicht vertragen werden, bieten Antikörper gegen CGRP bzw. dessen Rezeptor. CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) ist ein gefäßerweiternder Botenstoff, der bei der Migräne eine entscheidende Rolle spielt. Regelmäßig injiziert, lässt sich durch diese Antikörper-Therapie bei mehr als der Hälfte der Patienten die  Attackenhäufigkeit spürbar reduzieren.

 

Welche sollte bei sehr häufigen Kopfschmerzen die erste Anlaufstelle für Patienten sein? Wie geht es dann weiter?

Prof. Pfefferkorn: Anlaufstelle sollte zunächst der Hausarzt, dann aber niederschwellig der niedergelassene Neurologe sein. Auch wenn in dieser Konstellation fast immer ein primärer Kopfschmerz vorliegt, sollte im Rahmen der Ausschlussdiagnostik einmalig eine Bildgebung des Gehirns erfolgen, in der Regel eine MRT. Gelegentlich führt hier schon der Ausschluss einer ernsthaften Pathologie zu einer Besserung der Beschwerden. Möglichkeiten der Akuttherapie und prophylaktische Maßnahmen werden mit dem Patienten besprochen und umgesetzt, dabei realistische Ziele formuliert. Zur Überprüfung der Wirksamkeit kann ein Kopfschmerztagebuch sinnvoll sein.

 

Gibt es eine Tendenz? Steigt die Zahl der Patienten mit regelmäßigem Kopfschmerz oder nimmt diese in den letzten Jahren eher ab? Was könnten Gründe dafür sein?

Prof. Pfefferkorn:  Interessant ist die in den letzten Jahren festgestellte Zunahme von Spannungskopfschmerzen und Migräne bei Kindern und Jugendlichen. Studien berichten von bis zu 40% der Schüler, die mindestens einmal pro Woche Kopfschmerzen haben. Risikofaktoren für das Auftreten von Kopfschmerzen  scheinen unter anderem Schulstress, Mangel an Freizeit und körperliche Inaktivität zu sein. Ob intensive Computer-Nutzung einen negativen Einfluss hat, ist nicht eindeutig geklärt.

Prof. Dr. med. Thomas Pfefferkorn ist Direktor der Klinik für Neurologie im Klinikum Ingolstadt.

Veröffentlicht: 11. September 2020 | Aktualisiert: 11. November 2024 | Kategorien: Pressemitteilungen |
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