Definition
Die Hypospadie stellt eine häufige angeborene Fehlbildung des Penis und der männlichen Harnröhre dar. Diese Fehlbildung wird zumeist schon bei der Erstuntersuchung des Neugeborenen festgestellt.
Die umgebenden Gewebestrukturen, wie Vorhaut und Penisschafthaut, sind dabei oftmals beteiligt. Die Harnröhrenöffnung liegt hier nicht im oberen Bereich der Eichel, sondern ist unterhalb gelegen: entweder im unteren Eichelbereich, im Übergangsbereich der Eichel zum Penisschaft, im Bereich des Penisschaftes, des Hodensacks oder – in sehr seltenen Fällen – des Dammbereiches. Die Eichel ist gelegentlich abgekippt und kann dabei breit ausladende Eichelflügel aufweisen. Die Gewebeschichten können an der Unterseite des Penis miteinander verklebt sein und weisen seitlich des Harnröhrenschwellkörpers oft derbe Stränge auf (sog. Chorda). Das Ausmaß der Penisschaftverkrümmung beeinflusst ebenso den Schweregrad dieser Fehlbildung wie das Vorgehen zur operativen Korrektur. Die Vorhaut ist meist als sogenannte Vorhautschürze an der Unterseite gespalten und liegt der Eichel kapuzenförmig auf. Die Raphe (eine Verwachsungslinie der Haut) an der Penisunterseite und am Hodensack verläuft gelegentlich nicht in der Mittellinie.
Im Erwachsenenalter werden fast ausschließlich noch Patienten nach Komplikationen – oftmals zahlreicher gescheiterter – Hypospadieoperationen behandelt. Wesentliche Merkmale sind bei diesem speziellen Patientengut die ausgeprägten Narbenbildungen und die Gewebeverhärtungen. Die Behandlung sollte nur in ausgewiesenen urologischen Zentren mit hoher Expertise in der penilen und urethralen Chirurgie sowie in speziellen Situationen interdisziplinär gemeinsam mit Experten der plastischen Chirurgie erfolgen.
Häufigkeit
Die Häufigkeit der Hypospadie wird mit 1 auf 200 oder 300 männliche Geburten angegeben. Bekannt ist eine familiäre Häufung: 8 % der Väter weisen ebenfalls eine Hypospadie auf, das Risiko der Hypospadiebildung für ein nachfolgendes männliches Geschwisterkind wird mit etwa 21 % angegeben. Im Erwachsenenalter liegt die Häufigkeit unterhalb von 1 %.
Weitere Fehlbildungen
Ein Hodenhochstand und eine Leistenhernie finden sich häufiger begleitend mit einer Hypospadie, insbesondere bei den schwereren Formen (bis zu 30 %). Außerdem finden sich auch gehäuft Fehlbildungen am oberen Harntrakt (bis zu 5,5 %), wie z. B. Harnleiterabgangsstenosen, Refluxerkrankungen der Harnblase oder fehlende Nierenanlage. Deswegen ist routinemäßig eine Ultraschalluntersuchung angezeigt.
Symptome
Es können sowohl spezifische Symptome (wiederholte Harnwegsinfektionen) als auch unspezifische Symptome (Gedeih-, Entwicklungsstörungen, Bauchschmerzen, Erbrechen, Fieber unklarer Ursache) auftreten.
Diagnostik
Die klinische Untersuchung ist bei der Hypospadie wegweisend. Daneben sind die Symptome wie das Verhalten beim Wasserlassen, die Erektionsfähigkeit, das sensible Empfinden an Eichel und Penisschafthaut, Schmerzen sowie das Auftreten von Entzündungen wichtig. Darüber hinaus sind Unterlagen von Vorbehandlungen – wie bspw. OP-Berichte – überaus wichtig.
Bei der Hypospadie des Erwachsenen werden in aller Regel zudem instrumentelle Untersuchungen erforderlich. Diese umfassen die Sonographie des Penis, der Schwellkörper und der Harnröhre, eine Spiegelung der Harnröhre, ggf. eine Röntgenaufnahme der Harnröhre mit Kontrastmittel oder eine Kernspinuntersuchung des Penis, ggf. als SKAT-Untersuchung (Untersuchung in vollständiger künstlich erzeugter Erektion).
Die Einteilung der Hypospadieformen richtet sich nach der Harnröhrenöffnung:
Distale (anteriore) Hypospadie
(Hypospadie 1. Grades)
Die Harnröhre mündet im Bereich der Eichel oder des Eichelkranzes:
Mittlere Hypospadie
(Hypospadie 2. Grades)
Die Harnröhre mündet im Bereich des Penisschaftes:
Proximale (posteriore) Hypospadie
(Hypospadie 3. Grades)
Die Harnröhre mündet im Bereich des Hodensacks oder Dammbereiches:
Einen wesentlichen Einfluss auf den Schweregrad haben auch das Ausmaß der Vernarbung (im Erwachsenenalter) und Verkrümmung des Penisschafts, die Fehlbildung des Harnröhrenschwellkörpers und das Fehlen von peniblen Hautreserven.
Therapie
Ziel
Das kosmetische Ziel ist ein aufrechter Penis mit einer anatomisch korrekt positionierten und günstigen Harnröhrenöffnung mittels einzeitiger oder mehrzeitiger operativer Korrektur (d. h. eine oder mehrere Operationen). Das funktionelle Ziel ist das Erreichen einer normalen Miktion (Wasserlassen), die Fähigkeit zu einer ausreichenden schmerzfreien Erektion und die regelrechte Ejakulation im Rahmen der geschlechtlichen Fortpflanzung.
Allgemein setzt sich der Operationsablauf aus folgenden Schritten zusammen: die Gestaltung der Harnröhrenöffnung mit Harnröhrenplastik – die Eichelplastik – die Penisschaftaufrichtung – und die Hautdeckung ggf. mit plastischer Hautdeckung oder Verschiebelappenplastiken. Manchmal stellt sich erst während der Operation heraus, dass der Eingriff erweitert werden muss.
Schwierigkeit
Gerade die proximalen Hypospadien stellen hohe Anforderungen an den Operateur. In der Vergangenheit sind über 300 verschiedene Operationstechniken mit Modifikationen beschrieben worden, mit mehr oder weniger hohem Komplikationsrisiko und unterschiedlichem kosmetischem und funktionellem Resultat. In der Regel handelt es sich um aufwendige Konzepte, die einen oder mehrere chirurgische Eingriffe beinhalten. Der Einsatz von mikrochirurgischen Instrumenten sowie Lupenbrillen ist heute Standard bei dieser Operation am Genitale.
An unserer urologischen Klinik werden bei diesen komplexen Erkrankungen individuelle Konzepte erarbeitet und dann umgesetzt. Zudem steht eine enge Zusammenarbeit mit erfahrenen plastischen Chirurgen für Schwenklappen, Verschiebeplastiken oder freie Transplantate zur Verfügung.
Therapiekonzept am Klinikum Ingolstadt
In unserer kinderurologischen Sektion hat sich für die Korrektur der distalen Hypospadie das Therapiekonzept der einzeitigen operativen Korrektur durchgesetzt. Es wird vor allem das Verfahren nach Snodgrass eingesetzt. Bei der mittleren Hypospadie kommen je nach den individuellen Bedingungen einzeitige und zweizeitige Operationsverfahren zur Anwendung. Die proximale Hypospadie wird mit einem zweizeitigen Operationsverfahren versorgt. Die Harnableitung erfolgt über einen tröpfelnden Katheter („dripping stent“) in die Windel. Um den dripping stent nicht mit Stuhlgang zu verschmutzen, werden zwei Windeln angelegt: Die erste Windel ist für den Stuhlgang, diese Windel hat ein Loch für den Penis; der Penis liegt zusammen mit dem dripping stent in der zweiten Windel (Doppelwindelsystem).
Operationszeitpunkt
Der Operationszeitpunkt im Kindesalter hat sich im Laufe der Jahrzehnte immer weiter vor verlagert. Heute wird als günstiger Zeitraum für den Eingriff der 6. bis 18. Lebensmonat angesehen. Wir führen den Eingriff meist im Alter von 11-14 Monaten durch. Neben einem überwiegend guten Heilverlauf in diesem Alter konnte auch in psychologischen Studien nachgewiesen werden, dass in diesem Zeitraum das empfundene „Genitaltrauma“ am geringsten ist. In diesem Zusammenhang ist auch die stationäre Mitaufnahme eines Elternteiles in der postoperativen Phase von großer Bedeutung.
Mit welchen Komplikationen ist zu rechnen?
Die postoperativen Komplikationen sind abhängig vom Schweregrad der Hypospadie und der daraus abgeleiteten Operationsmethode. Neben allgemeinen Risiken, die bei nahezu allen operativen Eingriffen auftreten können, wie unter anderem Entzündung, Wundheilungsstörung, Blutverlust während und nach der Operation, Harnwegsinfektion, Empfindungsstörungen und Narbenbildung gibt es einige spezielle Komplikationen, die im Nachfolgenden näher erläutert sind:
- Die Harnröhrenfistel ist die häufigste postoperative spezielle Komplikation der Hypospadiekorrektur. Eine Harnröhrenfistel stellt einen zusätzlichen ungeplanten Harnausgang dar. Das Fistelrisiko ist umso höher, je proximaler die Hypospadie ist. So liegt dieses Risiko bei einer distal penilen Hypospadie bei bis zu 10 %, bei einer proximalen Hypospadie kann das Risiko auf bis zu 50 % steigen.
- Die zweithäufigste spezielle Komplikation ist die Narbeneinengung der Harnröhre (Striktur), welche meist im Bereich der Verbindung (Anastomose) zwischen originärer Harnröhre und neu gebildeter Harnröhre oder im Eichelbereich auftritt. Weiterhin kann eine unvollständig durchgeführte Chordektomie durch zunehmendes Größenwachstum zu einer neuerlichen Penisschaftverkrümmung führen. Harnröhrenöffnungsverengung (Stenosen) und Harnröhrenaussackungen (Divertikel) sind beschrieben. Aber auch Hautbrücken und narbige Asymmetrien können das kosmetische Resultat ungünstig beeinflussen.
Was wir tun, um Komplikationen zu vermeiden
Um Komplikationen möglichst im Ansatz zu vermeiden, werden alle Hypospadiekorrekturen nur von wenigen in der urethralen und peniblen Chirurgie sehr erfahrenen Operateuren durchgeführt. Lupenbrillen und / oder Operationsmikroskope werden grundsätzlich bei der Korrektur eingesetzt. Ein speziell zusammengestelltes und nur bei der Hypospadiekorrektur eingesetztes und optimal ausgerichtetes Mikroinstrumentarium unterstützt die individuell ausgewählten schonenden Operationsverfahren. Durch eigens entwickelte, verbesserte Verbandstechnik lässt sich der Wundheilungsverlauf optimal überwachen. Die Verbandstechnik unterstützt den Heilungsverlauf und hilft postoperative Schmerzen zu reduzieren.