„Das hätte ich mir auch anders vorgestellt“
Der eine wäre in Rente gegangen, der andere ist gerade erst in den Job gestartet: Zwei Mitarbeiter erzählen, wie sie die Corona-Pandemie erlebt haben
Masihullah Zazai, 26 Jahre alt, Krankenpfleger im zweiten Ausbildungsjahr und von Anfang April für sechs Wochen auf der Infektionsstation im Klinikum Ingolstadt eingesetzt – das hat sein Ausbildungsplan so vorgesehen. Ausgerechnet zu dieser Zeit, als die Anzahl der Corona-Patienten im Klinikum Ingolstadt täglich stieg – das konnte vor einem Jahr, als der Ausbildungsplan festgelegt wurde, noch niemand ahnen. Alle, die glauben, sie wurden schon einmal ins kalte Wasser geworfen, sollten sich einmal mit Masihullah, den alle „Masi“ nennen, unterhalten. Kälter könnte das Wasser wohl kaum sein.
Und so trat Masi Zazai, der zuvor in der Notfallklinik, auf der Kinderstation, der Gynäkologie, im Kreißsaal, der Psychiatrie und zuletzt auf der Intensivstation eingesetzt war, nun seinen Dienst auf Station 82 –Infektionsstation – an. „Angst hatte ich schon“, gibt er zu. Vor allem davor, der „unbekannten Krankheit“ so nah zu begegnen. „Bevor ich auf die Station kam, hatte ich Sorge, mich und meine Familie anzustecken“, gibt er zu.
Aus der Angst vor Ansteckung wurde Respekt vor der Krankheit, er vertraute seiner Schutzkleidung. „Ich habe mich mit der Ausrüstung sicher gefühlt, wir hatten Masken, Schürze, Kittel, Brille, Haube und Handschuhe.“ Dafür machte ihm in seinen ersten Wochen etwas anderes zu schaffen: „Es war nicht leicht, ich habe gesehen, wie schwer diese Krankheit verlaufen kann, ich habe Menschen sterben sehen.“ Außerdem gab es auch personelle Engpässe, da Kollegen teilweise in Quarantäne mussten. „Wir haben zwar Unterstützung von Kollegen aus anderen Stationen erhalten – was wirklich toll war“, ergänzt er. „Aber auch sie hatten noch keine Erfahrung mit dem Thema, genauso wenig wie ich selbst.“ Und so sei es oft sehr stressig gewesen.
In der Schule hatte er das Thema „Infektionskrankheiten“ bereits zu Beginn des zweiten Ausbildungsjahres, damals noch ein Kapitel wie jedes andere – nicht mehr und nicht weniger interessant. Von Tuberkulose, Norovirus und HIV war hier die Rede. Wie sich diese verbreiten, wie man sie behandelt, auf was man achten muss. Dazu noch ein paar weitere, seltenere Infektionskrankheiten. Das Wort Coronavirus stand in keinem seiner Schulbücher – wie auch? Das Wissen, das er aus der Schule mitnehmen konnte, half ihm zwar, „aber erst in der Praxis habe ich den eigentlichen Sinn dahinter richtig verstanden.“ Damit meint er beispielsweise das richtige An- und Ausziehen der Schutzkleidung, die richtige Verwendung der Masken und auch die Wichtigkeit von Hygienemaßnahmen. „Auch wenn es in der Praxis noch einmal anders lief als im Schulbuch, war ich froh, im Unterricht aufgepasst zu haben“, sagt er. Froh war er auch, so eine tolle Stationsleitung gehabt zu haben: „Ich habe eine genaue Anleitung bekommen.“ Zweimal drei bis vier Stunden hätte sie sich für ihn Zeit genommen, um dem Auszubildenden alles genau zu zeigen. Oftmals hieß es aber auch: learning by doing. „Im Grunde hatte ich die gleichen Aufgaben, wie auf jeder anderen Station: Tablettenkontrolle, Patientenpflege, die Bearbeitung der Visite, die Essensausgabe und so weiter“, erzählt er. „Nur mit dem Unterschied, dass ich für jedes Glas Wasser, das ich dem Patienten brachte, jeweils fünf Minuten brauchte, weil ich die Schutzkleidung erst angezogen und danach wieder ordnungsgemäß ausgezogen habe.“ Außerdem schwitze man in dem Ganzkörperanzug sehr und die Patientenversorgung bedeutete mehr Aufwand, nicht zuletzt, weil der Großteil der Corona-Patienten in einem stark pflegebedürftigen Alter war.
Nicht nur seine Arbeit wurde durch das Coronavirus geprägt, auch seine Ausbildung hat das Virus ganz schön auf den Kopf gestellt. Sein praktisches Zwischenexamen auf Station wurde abgesagt, das holt er voraussichtlich im dritten Ausbildungsjahr nach. Präsenzunterricht in der Schule: Fehlanzeige.
„Auch, wenn es nicht immer einfach war, habe ich auf der Infektionsstation sehr viel gelernt“, sagt er rückblickend. „Das kann ich in Zukunft mit Sicherheit noch brauchen.“ Abgehärtet ist er nun auf jeden Fall: „Ich fühle mich stärker und bin auch ein bisschen stolz, dass ich so unterstützen konnte.“ Auch über das viele Lob, die gespendeten Geschenke und die Anerkennung in der Gesellschaft für seine und die Arbeit seiner Kolleginnen und Kollegen in dieser Zeit, habe er sich sehr gefreut. „Ich war ein Teil davon.“
Anders vorgestellt hätte sich dieses Jahr wohl auch Johann Wolinski, Pfleger in der Anästhesie am Klinikum Ingolstadt. Ein Berufseinsteiger ist er schon lange nicht mehr. Als er vor knapp 38 Jahren am Klinikum anfing, war er nicht viel jünger als Masi heute. Damit gehört der 63-Jährige zu den allerersten Beschäftigten des Hauses. Nun sollte diese Ära eigentlich am 1. April – wohlverdient – zu Ende gehen. Der Ruhestand stand bevor. Aber das Leben hatte andere Pläne mit Wolinski. „In so einer Situation konnte ich meine Kollegen doch nicht alleine lassen“, sagt er.
Und so kam es, dass er seiner Station, der Anästhesie, wo er seit 22 Jahren als Pfleger arbeitet und zuletzt auch Gruppenleiter war, nun noch ein paar Monate länger zur Verfügung stand. Aber keine Spur von Bedauern: „Ich gehe jeden Tag mit einem tollen Gefühl in die Arbeit, weil ich hier helfen kann.“ Dass er mit seinen 63 Jahren und nach zahlreichen OPs zur Hochrisikogruppe gehört, ist ihm bewusst. Angst, sich anzustecken, hatte er trotzdem nicht. „Wir haben ja die entsprechende Schutzkleidung.“ Beim An-und Ausziehen der Schutzkleidung sei es entscheidend, alles genau nach Anleitung zu machen, damit man nicht mit den Keimen in Kontakt kommt. Jeder Patient auf dem OP-Tisch wird so behandelt, als hätte er Covid-19.
Er hat in seinen insgesamt 39 Berufsjahren schon Vieles erlebt. Mit seinen Geschichten könnte man sicher ganze Bücher füllen. „Aber so etwas, wie jetzt, gab es noch nie.“ Dass er so eine Ausnahmesituation gerade zum Ende seiner beruflichen Karriere noch einmal erleben musste, war für ihn eine Herausforderung: „Ich musste nochmal einiges Neues lernen, konnte aber auch Erfahrungen an jüngere Kollegen weitergeben“, sagt Wolinski. Seine Devise: „Schaut gut hin, redet miteinander und stellt den Patienten in den Mittelpunkt – dann seid ihr auf dem richtigen Weg.“
Das Coronavirus hat seine Art zu denken und zu handeln verändert. Nicht nur der Umgang untereinander, auch die Kommunikation mit den Kollegen sei intensiver geworden: „Plötzlich rückten alle näher zusammen“ – mental, versteht sich.
Auch er spürte den Dank in der Gesellschaft, der ihn und seine Kollegen auf der Intensivstation in Form von Geschenken und Botschaften erreichte. Diese Anerkennung wünscht er sich aber auch für die Zeit nach Corona, genauso wie bessere Arbeitszeiten und ein höheres Gehalt. „Für meine Kollegen“, wie er sagt. Denn er selbst steht nun nicht mehr am OP-Tisch stehen, sondern konnte – mit ein paar Monaten Verspätung – schließlich im Juni in den wohlverdienten Ruhestand gehen. „Mein größter Wunsch ist, dass keine zweite Welle mehr kommt“, sagt er. „Und wenn doch, bin ich wieder da, wo man mich braucht.“